Prävention und Verarbeitungsprozess im Umgang mit einer sexuellen Missbrauchsbiografie
Ich erhielt den Anruf einer Heimleitungsperson,
Ein alter Mann war gestorben. Die Übergabe seiner Hinterlassenschaft war besonderen Umständen geschuldet und machte unverkennbar sichtbar, dass dieser Mensch in seiner Geschichte als theologische Autoritätsperson Kinder missbraucht hat. Das Pflegeteam war betroffen und schockiert.
Zeitnah wurde eine Weiterbildung angesetzt. Ziele waren die eigene Wahrnehmung für die Zukunft zu schärfen, vorhandenes Wissen zu vertiefen, sowie persönliche wie auch institutionelle Grenzen wahrzunehmen und zu achten. Inhaltliche Themen waren das Benennen der erlebten Gefühle der Teammitglieder, wie Ekel, Abscheu und Entsetzen auszudrücken. Ebenso war es wichtig präventiv für die Zukunft Verhaltensweisen dieses Menschen zu reflektieren, wie distanzloser Umgang mit Nacktheit, Umgang mit sprachlichen Äusserungen, und das Einhalten einer professionellen Distanz in der Pflege. Ergebnisse waren, dass es zum gegenseitigen Schutz der Teammitglieder wichtig ist, die eigene Wahrnehmung ernst zu nehmen und eigene innere Haltungen zu reflektieren. In den Pflegebesprechungen braucht es klare, für das Team stimmige Absprachen im Umgang mit grenzüberschreitendem Verhalten. Das Team meisterte dieses Spannungsfeld, mit den Schattenseiten eines alten Menschen in Berührung gekommen zu sein. Es ist gelungen in dieser anspruchsvollen Situation die Autonomie dieses Menschen zu wahren und ihn trotz vielen herausfordernden Situationen würdevoll und fachgerecht in den Tod zu begleiten. In diesem Verarbeitungsprozess mit dem Team spürte ich eine tiefe Wertschätzung für die geleistete Pflege, sowie für das Ringen im Team mit ganz unterschiedlichen Haltungen in diesem Verabschiedungsprozess.