Verzeihen und loslassen
Waltraut und Tobias sind ein junges Paar mit einem Sohn in der Kleinkindphase. Sie haben mich über das Internet gefunden. Immer öfter geraten sie in aufreibende Konflikte, die zu gegenseitigen Verletzungen führen.
Die beiden ziehen in Erwägung sich zu trennen. Dennoch wagen sie einen Klärungsversuch in der Paarberatung.
„Waltraut hat mich beschuldigt auf sie Gewalt ausgeübt zu haben. Ich habe eine impulsive Art, das stimmt, Gewalt ist jedoch etwas anderes. Das hat mich total verletzt, „sagt Tobias frustriert. „Tobias sieht mich gar nicht! Immer wieder geht er mit seiner aufbrausenden Art über mich hinweg. Ich habe einen Missbrauch erlebt. Mit jmd., der meine Grenzen nicht wahrnimmt und akzeptiert schlafe ich nicht, “ sagt Waltraut ärgerlich.
Die Bearbeitung ihres Beziehungsmusters führte zum besseren Verstehen der Eingangs- und Falltüren ins Muster und deren Ausstiegsmöglichkeiten. Das Paar ist erleichtert. Jetzt sind beide bereit für ein Verletzungsritual. Ziel ist gegenseitig die verletzende Wirkung des eigenen Handelns bei sich selber und beim anderen emotional anzuerkennen. Dabei wird deutlich, dass die Wahrnehmung jedes einzelnen zählt und dass es nicht um eine Rechtfertigung des eigenen Verhaltens geht.
Das Paar sitzt sich gegenüber und schaut sich an. Wir beginnen mit den leichteren Verletzungen, bis hin zu den Schweren. Im Mittelpunkt stehen der begleitete wechselseitige Austausch und die emotionale Begegnung beider. Die Person, die zuhört bitte ich an einen Ort ihrer Kraft zu gehen und aufmerksam das Erleben des anderen zu zuhören. Der Zuhörende wiederholt die Verletzung des anderen mit seinen Worten, anerkennt diese, drückt sein Bedauern über sein absichtslos verletzendes Verhalten aus und bittet um Verzeihung. Die verletzte Person nimmt die Entschuldigung an und entlässt den anderen aus seiner“ Schuld“. Wo es hakt, erfolgt eine Klärung. Die beiden begegnen sich, Berührt sein und Erleichterung ist im Raum spürbar.
Der Prozess geht im Alltag weiter. Das gegenseitige Verzeihen hilft beiden offene Rechnungen loszulassen und öffnet den Wir Raum für einen konstruktiven Umgang mit gegenseitigen Wünschen und Bedürfnissen.