Newsletter November 25
Beziehungsfähigkeit erkunden
Ein wichtiges Bedürfnis für Paare und für Familien ist es, sichere und gesunde Beziehungen aufzubauen. Allen Beteiligten geht es besser, wenn jeder mit seinen Gefühlen nicht allein bleiben muss. Es tut gut, wenn Gefühle im Kontakt mit sich selbst wahrgenommen werden können und im Kontakt mit dem Partner - oder mit der Bindungsperson - gezeigt werden dürfen und jeweils vom anderen gesehen und anerkannt werden.
Dabei fliesst in Paarbeziehungen die emotionale Unterstützung zwischen den Partnern in beide Richtungen, während in der Beziehung zwischen Eltern und Kindern die Fürsorge und der Schutz, welchen die Eltern ihren Kindern geben, eine Einbahnstrasse ist.
Das heisst die Eltern geben ihren Kindern Zuneigung, Schutz und Orientierung. Sie erfüllen deren Bindungsbedürfnisse und schaffen so einen sicheren Rahmen. Innerhalb dieses sicheren Rahmens unterstützen die Eltern ihre Kinder bei der Regulierung ihrer Emotionen. Die Eltern sind eingestimmt auf die Bedürfnisse ihrer Kinder. Sie begleiten ihre Kinder bei Herausforderungen und feiern mit ihnen ihre Erfolge. Sie reparieren alltägliche Beziehungsrisse und fördern die Entwicklung ihrer Kinder.
So können Kinder Sicherheit und Vertrauen zu ihren Eltern aufbauen. Sie lernen aktiv ihre Bedürfnisse zu kommunizieren, klare, stimmige Signale zu senden und die Bindungsbeziehung zu ihren Eltern als einen sicheren Hafen zu schätzen.
Andererseits benötigen Eltern selbst auch Schutz und Fürsorge, emotionale Unterstützung und Empathie, um ihre Aufgabe als Eltern wahrnehmen zu können. Diese Unterstützung kann aus der Herkunftsfamilie, dem Freundeskreis, dem sozialen Umfeld oder dem gesellschaftlichen Umfeld kommen.
Je nachdem, wie die Eltern sich in ihren Fürsorgereaktionen verhalten, entwickeln die Kinder spezifische Bindungsmuster.
Die Eltern können überreagieren, indem sie ihre Kinder übermässig schützen wollen, oder indem sie starre oder unklare Grenzen setzen, indem sie sich übermässig tolerant zeigen, oder indem sie zu wenig Grenzen setzen. Die Eltern können unterreagieren, indem sie ihre Kinder vernachlässigend behandeln, sie ablehnen oder sich ihnen gegenüber distanziert zurückziehen.
Je nachdem, was die Kinder erleben zweifeln sie an der emotionalen Verlässlichkeit ihrer Eltern. Sie beginnen ängstlich ambivalente oder vermeidende Bindungsmuster zu entwickeln.
Wenn Eltern ihre Kinder regelmässig brauchen, um sich emotional zu regulieren, kann dies zur Parentifizierung der Kinder führen. D.h. die Kinder beginnen emotional für die Eltern zu sorgen. Sie lernen früh ihre eigenen Bedürfnisse zurückzustellen. Viele Kinder schämen sich oder fühlen sich schuldig, wenn es einem Eltern-Teil nicht gut geht. Sie lernen zu erspüren und zu erfühlen was Mama oder Papa braucht. Die Kinder stellen die Bedürfnisse der Elternperson über ihre Eigenen, indem sie sich zurücknehmen, die Eltern schützen, für sie da sind.
Bindungsstile entwickeln
Bei einem Bindungsstil geht es darum, welche Bewältigungsstrategie Menschen entwickelt haben, um sowohl mit dem Bedürfnis nach Sicherheit, Geborgenheit und Schutz einerseits, wie auch mit dem Bedürfnis nach Abenteuer, Entdeckerfreude und Risikobereitschaft andererseits umzugehen.
Abhängig davon ob sich Menschen in ihrer Herkunftsfamilie willkommen oder unwillkommen gefühlt haben, ob ihr Bedürfnis nach Autonomie bekämpft oder zu rasch eingefordert wurde, entstehen verschiedene Bindungsmuster.
Die vier Bindungsstile nach Bowlby
1. Sichere Bindung
Menschen, die darauf vertrauen, dass ihre Bedürfnisse gesehen und berücksichtigt werden
2. Unsicher vermeidende Bindung
Menschen, die lieber nicht zu viel erwarten, um nicht enttäuscht zu werden
3. Unsicher ambivalente Bindung
Menschen, die aus alten Verletzungen heraus zu intensiven, emotionalen Verletzungen des Partners neigen, indem sie sich sehr anhänglich verhalten bis hin zu Wutausbrüchen, je nachdem welche Verletzung gerade berührt wird
4. Desorganisierte Bindung
Menschen, die sich selber kaum spüren, sich von aussen betrachtet unberechenbar verhalten und kaum in ein sich Aufeinander Einschwingen (Resonanz)in Beziehungen gehen können
Beziehungsmuster erforschen
Die folgende Übung kann dabei helfen Bindungsmuster und darunterliegende Verletzungen zu erforschen. Dadurch können sich Wege der Verbundenheit mit sich selbst und zum Partner*in öffnen.
1. Ankommen in der Übung
Begebe Dich an einen ruhigen Ort. Schliesse Deine Augen, nimm wahr, wie Du ein und ausatmest. Lass Dein Gewicht in die Unterlage sinken. Erlaube Dir entspannt, wach und präsent zu sein.
Kindheitserfahrungen
Wie hast Du Dich als Kind in deiner Herkunftsfamilie gefühlt?
Welche Rolle hast Du in Deiner Herkunftsfamilie eingenommen?
Wie hast Du Nähe und Zuneigung erfahren? War die Atmosphäre in deiner Familie eher distanziert oder wurdest Du mit Liebe überschüttet?
Gab es einen Menschen, der für Dich besonders wichtig war?
Gab es Menschen, von denen Du Dir mehr Aufmerksamkeit oder Zuwendung gewünscht hättest? (Eltern, Grosseltern, Geschwister?)
Wie hast Du die Beziehung zu Deinen Eltern erlebt? Mit welchen 2 Worten beschreibst Du sie, z.B. als konflikthaft, stabil, sicher, unberechenbar?
Gab es Situationen in denen du Dich alleine gelassen, nicht gesehen, Dich als empfindungslos wahrgenommen hast? Wie bist Du dann mit deinen Gefühlen umgegangen?
Wie wurde mit Deinen Bedürfnissen und Gefühlsäusserungen umgegangen?
Aktuelle Beziehungsmuster
Wie erlebst Du heute Deine (Paar-)Beziehung?
Fühlst Du Dich in der Lage emotionale Nähe zuzulassen und Vertrauen zu entwickeln?
Neigst du dazu, Dich eher zurückzuziehen oder eher zu klammern?
Welchen wiederkehrenden Beziehungsthemen begegnest Du immer wieder (Eifersucht, Angst vor Ablehnung, Bedürfnis nach Kontrolle?)
Siehst Du eine Verbindung zwischen den Erfahrungen in Deiner Kindheit und deinen heutigen Beziehungsmustern?
Kontakt mit dem «inneren Kind»
Erlaube Dir Deinem «inneren Kind» zu begegnen.
Wie alt ist dieses Kind? Wie sieht es aus? Wie fühlt es sich an?
Was brauchst Du, um Dich sicher und geliebt zu fühlen?
Welche Verhaltensweisen haben Dich verletzt oder tun Dir weh?
Was wünscht Du Dir von Deinem Partner*in?
Höre auf Dein «inneres Kind». Welche Hinweise gibt es Dir, wie Du heute mit Deinen Beziehungsbedürfnissen umgehst?
Integration
Nimm Dir Zeit, um das, was Du gerade wahrgenommen hast zu integrieren.
Wie gelingt es Dir, die Bedürfnisse Deines «inneren Kindes» in Deiner jetzigen Paarbeziehung einzubringen? Was möchtest Du gerne heute anders machen?
Lass Dich nach dieser Übung wahrnehmen, wie Du deine Beziehungsfähigkeit weiter entwickeln möchtest. Was erlebst Du als Deine Themen? Geht es vielleicht darum, Deine Bedürfnisse genauer zu spüren und in Kontakt zu bringen?
Oder geht es darum Dich Deiner Angst vor Zurückweisung zu stellen?
Es gibt niemanden, der in seiner Kindheit keine Verletzungen und daraus resultierenden Wunden mit sich trägt.
Wir haben jedoch immer wieder die Chance uns neu zu erfinden und in unserer aktuellen Beziehung zu lernen, uns empathisch und liebevoll aufeinander zu beziehen.
Gerne unterstütze ich Paare darin ihre Bindungsmuster besser zu verstehen, Bindungsverletzungen wahrzunehmen und sich einfühlsam und liebevoll aufeinander einzuschwingen, statt an alten Gewohnheiten und fixen Erwartungen festzuhalten.