Newsletter September 24
Ein wunder Punkt wird berührt
Verletzungen wahrnehmen und regulieren
Wenn wir verliebt sind, machen wir uns verletzlicher. Wir sind in Liebesbeziehungen ungeschützter und können uns ohne Absicht durch unüberlegte Worte oder Handlungen gegenseitig verletzen. Solche Erfahrungen tun weh.
Jeder von uns hat wunde Punkte, also empfindliche Stellen auf der emotionalen Haut, die sensibel auf Berührungen reagieren und schmerzen. Solche Verletzungen aktivieren primäre Emotionen, wie Schmerz, Angst oder Scham. Unterdrücken wir diese Gefühle, brodeln sie als nicht wahrgenommene Gefühle in uns weiter. Viele Menschen reagieren auf ihr Verletzt-Sein im Aussen sichtbar auf Verhaltensebene. Die einen erleben ein defensives Erstarren, also einen Rückzug nach innen, andere Menschen blockieren reaktiv den Kontakt zum anderen. Im Bild gesprochen schlagen sie dann ärgerlich, wütend oder verzweifelt um sich. Sie machen ihren Gefühlen Luft.
Mit beiden Reaktionsweisen, also die Schotten dicht zu machen oder reaktiv im Aussen um sich zu schlagen, wird der entstandene Schmerz in Schach gehalten, überlagert und aushaltbar gemacht. Darunter verlieren die Partner durch die Verletzungen ihrer wunden Punkte das emotionale Gleichgewicht. Im Beziehungsprozess als Paar berührt meist der wunde Punkt des einen, den wunden Punkt des anderen. Der primäre Schmerz kann noch nicht in Kontakt mit dem Partner gebracht werden. Das Berührt-Sein und nicht bewusste wahrnehmen des eigenen wunden Punktes verunmöglicht die beim anderen geschehene Verletzung anzuerkennen und verständnisvoll damit umzugehen. Stattdessen verstricken sich beide in frustrierende Negativkreisläufe, die oft zu Brüchen in der Beziehung führen.
Sie verursachen neue schmerzhafte Risse auf der emotionalen Haut. Sie entstehen, wenn einer den anderen nicht wahrnehmen kann, ihn stattdessen reaktiv bewertet (abwertet, ignoriert, anschweigt), beschämt (vor anderen auslacht, kritisiert), oder beschuldigt («wegen Dir geht es mir schlecht, du musst dein Verhalten ändern, dass es mir besser geht»).
Eigene wunde Punkte identifizieren
Einen wunden Punkt beschreibe ich in der Beratung als eine Überempfindlichkeit, die durch Verletzungen in Beziehungen zu wichtigen Menschen aus unserer Vergangenheit entstanden ist. Dies betrifft insbesondere die Beziehungen zu unseren Eltern, zu anderen wichtigen Angehörigen oder Bezugspersonen und zu früheren oder aktuellen Liebespartnern.
Wird ein verletzlicher Punkt berührt, so kann sich das so anfühlen, als würde plötzlich der Boden unter den Füssen wegrutschen.
Um sich zu stabilisieren und den Negativkreislauf zu verlassen ist es wichtig eigene wunde Punkte zu identifizieren.
Den Auslöser erkennen
Was ist in der Beziehung geschehen?
Welcher Trigger hat das Gefühl der Verbundenheit mit dem Partner/Partnerin (plötzlich) erschüttert?
Wie haben sich die Partner in den Sekundenbruchteilen bevor sie reagierten (wütend wurden oder erstarrten) gefühlt?
Was genau hat der Partner getan, dass diese Reaktion ausgelöst hat?
Anna sagt:
«In dem Moment, in dem Tom mit mir laut, kritisch und aggressiv spricht und mir sagt, dass er mir nicht helfen kann, wenn ich mich vor einer Prüfung so verrückt mache, dass ich nicht mehr klar denken kann», ist sowohl der Tonfall wie auch der Inhalt für mich ein Gefahrensignal. Aus einer Meinungsverschiedenheit wird dann eine Krise.»
Körperreaktion wahrnehmen
Was passiert im Körper, in der Situation, in dem der wunde Punkt schmerzhaft berührt wird?
Wird ein Engegefühl in der Brust wahrgenommen, so als ob die Person keine Luft mehr bekommt?
Oder erlebt sich die Person als benebelt, als kalt oder heiss, als klein und zittrig?
Wie können diese Körperwahrnehmungen dabei helfen, dem inneren Erleben einen Namen zu geben?
Anna sagt:
«In solchen Momenten bekomme ich einen Wutanfall. Ich spüre Angst und fühle mich klein und zittrig.»
Bedeutungsgebung verstehen
Anna sagt:
«Ich habe den Eindruck Tom sieht mich nicht in meiner Not. Er verurteilt mich und das macht mich wütend. Mein Bedürfnis nach Unterstützung interessiert ihn nicht. Ich fühle mich alleine gelassen. Er steht mir nicht bei. Und das macht mir Angst. Innerlich sage ich mir, dass ich sowieso niemandem trauen und mich auf niemanden verlassen kann.»
Verhalten bewusst wahrnehmen
Welches Verhalten aktiviert diese Bedeutungsgebung?
Anna sagt:
«Dann schreie ich Tom an, sage ihm, dass er ein fieser Typ ist und dass er zum Teufel gehen soll und dass ich auf seine Hilfe verzichten kann! Ich bin dann so wütend! Meine tieferen Gefühle tun mir so weh, dass ich ihnen lieber ausweiche. Stattdessen gehe ich in meine Wut!
Ursache der wunden Punkte verstehen
Tauchten die wunden Punkte bereits in der Beziehung zu den Eltern, Geschwistern, bisherigen Liebesbeziehungen etc. auf?
Anna sagt:
«Meine Mutter liess mich oft wissen, dass aus mir nichts werden würde, weil ich im Gegensatz zu meiner Schwester zu nichts fähig bin. Wenn sich Tom in Situationen, in denen ich seine Unterstützung brauche, so negativ und abweisend verhält, fühlt sich das für mich so an, als ob er nicht an mich glaubt und dass da niemand ist, der sich um mich kümmert.
Im Paar ist es wichtig zu verstehen, ob die Partner gegenseitig ihre wunden Punkte erkennen, oder ob sie lediglich das reaktive Gefühl wahrnehmen, welches oft einen persönlichen wunden Punkt beim anderen berührt.
Anna sagt:
«Ich verberge diese wunden Punkte vor ihm. Es kommt mir nicht in den Sinn sie ihm offen zu zeigen und mich so verletzlich zu machen.»
Beziehungsprozess im Paar
In der Beratung mit dem Paar hilft es, dieses Erleben beider zusammen zu fügen und das Paar in einen direkten, einfühlsamen Kontakt zu führen.
Anna zu Tom:
In dieser Situation wurde mein wunder Punkt durch deinen Tonfall berührt. Im Aussen betrachtet hältst du mich für wütend, im Innen hatte ich Angst und habe mich alleine gefühlt. Ich hätte mir so sehr gewünscht, dass du mich tröstest und unterstützt. Ich werde mit dem Gefühl abgewiesen zu werden nicht fertig. Die entscheidende Botschaft, die über unsere Liebe bei mir ankommt lautet, dass ich von Dir keine Anteilnahme und Hilfe erwarten kann.
Tom zu Anna:
Es fällt mir schwer Dir das zu sagen. Ich habe in dem Moment nicht verstanden, was in Dir vor sich geht.
Von einem Moment auf den anderen habe ich Dich wie einen umgedrehten Handschuh erlebt. Die Explosion deiner Wut und deine um dich schlagenden Worte haben mich verletzt. Ich habe nicht verstanden, was in dir vor sich gegangen ist. Ich habe meine Angst gespürt, von Dir verschlungen zu werden und meine Ohnmacht. Egal was ich tue, es ist nicht recht. Ich habe mich wie ein Versager gefühlt.»
Gerne unterstütze ich Paare darin, sich ihrer wunden Punkte und ihres individuellen Erlebens bewusst zu werden, bevor die Kugel des Negativkreislaufes rollt, So können, sowohl jeder für sich, wie auch beide miteinander wohlwollende, liebevolle Wahlmöglichkeiten entdecken.