Newsletter Oktober 24
Bindungsbeziehungen zwischen Erwachsenen
Eine sichere Bindung als Basis
In den 1950er Jahren eröffnet John Bowlby eine neue Perspektive mit seiner Sichtweise emotionale Bindung bei Kindern als angeborenes Grundbedürfnis zu sehen. Er beschreibt, dass in jedem Menschen eine lebenslange und überlebensnotwendige Sehnsucht besteht, nach einem bedeutsamen anderen Menschen, der Geborgenheit, Fürsorge und eine zuverlässige Unterstützung gibt.
Gemäss John Bowlby sind wir genetisch darauf programmiert, auf eine drohende Gefährdung in dieser wichtigsten Bindungsbeziehung zu reagieren. Seine Beobachtungen in der Mutter-Kind-Beziehung machten es möglich, wiederkehrende, vorhersehbare Reaktionen auf Trennungsstress zu entpathologisieren. Verhaltensweisen, in denen auf die fehlende Responsivität der Bindungsperson mit verzweifeltem Anklammern und Suchen, wütendem Protest, einer gedrückten Stimmung bis hin zur völligen Loslösung reagiert wurde, beschreibt er als eine normale Reaktion. Ziel all dieser Verhaltensweisen ist immer, die Zugänglichkeit zur Bindungsperson wieder herzustellen.
Sue Johnson öffnete der Bindungstheorie die Tür zur Paartherapie. Ihr zufolge löst die fehlende emotionale Erreichbarkeit des Partners (wird als nicht offen, unzugänglich, emotional nicht engagiert erlebt) eine Bedrohung der Bindung und damit Angst und Unsicherheit aus. Die emotionsgesteuerten Reaktionsmuster auf diesen Trennungsschmerz können dazu führen, dass der eine Partner Bindung einfordert und der andere in eine Verteidigungshaltung geht und sich zurückzieht. Ziel dieser Dynamiken ist, die bedrohte Nähe zum geliebten Bindungsmenschen in der erwachsenen Liebesbeziehung wieder herzustellen. Damit stellt Johnson den im Paar erlebten Trennungsschmerz in einen neuen Bedeutungsrahmen. Der negative Zyklus der Paare kann im Bild gesprochen wie eine Wanderung erlebt werden, bei der das Paar an einem Steilhang abrutscht. Die Versuche beim Partner Sicherheit zu erhalten, laufen ins Leere. Eine schmerzliche Trennungsreaktion wird im Paar aktiviert, emotionale Distanz bis hin zur Entfremdung ist zwischen den Partnern spürbar.
Unglückliche Paare können füreinander die Hölle sein. Es ist nicht einfach zu erkennen, dass hinter wüsten Beschimpfungen (Ärger als sekundäres Gefühl) die Angst den Partner zu verlieren (als primäres Gefühl) stecken könnte. Gerade die wüsten Beschimpfungen können als ein verzweifelter Ausdruck des Bindungsbedürfnisses nach emotionaler Nähe gesehen werden.
In Reaktion darauf aktivieren manche Partner einen Rückzug in ihren perfekten Schutzpanzer, um sich aus dieser unangenehmen Konfliktsituation zurückzuziehen. Dahinter steht das beschämende Gefühl wieder einmal versagt zu haben und es ihr nicht recht machen zu können.
Durch die Bindungsbrille gesehen, können unsichere Verhaltensmuster (wie zum Beispiel eine chaotische Mischung aus Verfolgen und Wegstossen in Form von harscher Kritik und sich Verschliessen) jedoch als gerade bestmöglicher Versuch des Paares verstanden werden, sicher mit dem Partner in Kontakt kommen und bleiben zu wollen.
Gesetzmässigkeiten von Autonomie und Bindung
Wenn wir uns aufmachen, den Beziehungskontext eines Menschen durch die Bindungsbrille zu sehen, macht selbst jedes von aussen betrachtet schwer nachvollziehbare Verhalten Sinn.
Das Aufrechterhalten von emotionaler und körperlicher Nähe auf der einen Seite, der Trennungsstress bei gefühlt drohendem Bindungsverlust auf der anderen Seite, verdeutlichen die dahinterliegenden Bedürfnisse. Da sind einerseits die Spannungsfelder mit der Angst den anderen zu verlieren, von ihm aufgefressen und emotional überwältigt zu werden. Andererseits gibt es die Entwicklungsfelder, die zu einer sicheren Bindung führen können. Dazu gehört das Ausbalancieren von Nähe und Distanz; Wahrnehmen, Anerkennen und Wertschätzen der unterschiedlichen Bedürfnisse, Ausdrücken eines klaren liebevollen, authentischen Nein und Ja, welches nicht gegen den Anderen gerichtet ist, sondern für das eigene Selbst und für die Beziehung einsteht.
Folgende Leitideen bilden das Fundament für diese Sichtweisen:
- Liebe definiert als sichere Bindung, als ein angeborenes Bedürfnis sich mit einem bedeutsamen Menschen verbunden zu fühlen
- Erwachsene benötigen eine sichere Basis an Fürsorge und einen sicheren Hafen der Geborgenheit, der wiederum Vertrauen, Resilienz und Kreativität aktiviert: Dafür stehen Aussagen eines Paares wie: «Ich fühle wir sind miteinander verbunden, meine Rettungsleine ist da, ich spüre Deine starken Arme, auch wenn wir gerade tausende von Kilometern voneinander entfernt sind.» «Je stärker ich mich Dir verbunden fühle, desto eigenständiger und unabhängiger kann ich sein.»
- Es braucht Emotionen, um Bindung erleben zu können, d.h. wenn Partner in einem Gefühl von Verunsicherung und Distanziertheit leben, dann ist die Regulation der Emotionen nur schwer möglich, eine chaotische Mischung aus Trauer, Angst, Scham aktiviert negative Interaktionszyklen
Das Ausbalancieren der Grundbedürfnisse von Autonomie und Bindung wird von vielen Paaren als Konflikt erlebt.
Einerseits besteht die Sehnsucht nach Nähe, Geborgenheit, Zugehörigkeit und Verlässlichkeit auf dem Pol der Autonomie, andererseits besteht das Bedürfnis nach eigenem Frei- und Handlungsspielraum, der nicht mit dem Partner geteilt wird.
Je nachdem, welche Bindungsgeschichte und welche Bindungserfahrungen (sicher, unsicher-ambivalent, unsicher-vermeidend) jeder Partner aus seiner Geschichte mitbringt und in der aktuellen Paarbeziehung wieder in Szene setzt, können folgende Grundschritte in der Liebesbeziehung (Erwachsenen- Bindung) erlebt werden:
1. Die Liebes-, Bindungspartner gehen aufeinander zu und laden zur Verbindung ein.
2. Bleibt die Reaktion des einen Partners aus, so protestiert der andere oder versucht Druck auszuüben.
3. Bleibt die ersehnte Reaktion des Partners weiterhin aus, so wendet die Partnerin sich ab, sie verschliesst sich, um sich vor weiterem Schmerz der Zurückweisung zu schützen.
4. Es folgt ein emotionaler Zusammenbruch, mit wütenden Vorwürfen, seelischem Schmerz und Verzweiflung.
5. In einer sicher gebundenen Partnerschaft finden Partner den Weg zueinander zurück, indem es ihnen gelingt sich verständnisvoll aufeinander zu beziehen. Sie kommen wieder in eine emotionale Verbindung.
Gerne unterstütze ich Paare darin, auf dem Hintergrund ihrer unterschiedlichen Bindungsgeschichten zu lernen sich emotional neu zu begegnen, und in ihrer Liebe und Sexualität immer wieder neue Wege zueinander zu finden.