Newsletter März 24
Autonomie und Bindung
Zwei gegensätzliche Grundbedürfnisse von Paaren
Systemisch und ressourcenorientiert ausgedrückt sind Autonomie und Bindung zwei Grundbedürfnisse von Paaren.
Tiefenpsychologisch können diese Grundbedürfnisse auch als Grundängste, nämlich als Verlustangst, und als die Angst verschlungen zu werden, verstanden werden.
Im Bild gesprochen meint Bindung Wurzeln in der Paarbeziehung zu schlagen und zu lernen sich geborgen und zugehörig zu fühlen.
Autonomie meint im Bild gesprochen Flügel zu bilden, den eigenen Freiraum zu schaffen und aus diesem gestärkt wieder in den selbst gewählten Hafen der Paarbeziehung zurückzukehren.
Menschen, die in ihrer Herkunftsfamilie sichere Bindungserfahrungen erlebt haben, fällt es leichter, sich auf eine Bindung im Paar einzulassen.
In unsicheren Bindungssystemen gross gewordene Menschen können einerseits mit Nähe den Verlust ihrer eigenen Autonomie assoziieren.
Andererseits gibt es Menschen, die bezüglich ihres Bindungsbedürfnisses die Autonomie ihres Partners als bedrohlich erleben.
Auf dem Hintergrund dieser Nähe-Distanz-Thematik entstehen verschiedene Konfliktmuster. Verinnerlichte fordernde Eltern-Anteile interagieren mit sich verweigernden Kind- Anteilen. Die Folge davon ist eine oft lähmende Ambivalenz. Manche Menschen verhalten sich dann im Leben freundlich und offenherzig, anstatt Konflikte oder Unterschiede zu benennen. Viele Paare vermeiden mit der Ambivalenz verbundene negative Gefühle offen auszusprechen. Stimmige Grenzen werden nicht gesetzt. Paare bauen so unbewusst einen Groll in ihrer Beziehung auf. Zu viel Nähe (Bindung) wird als erdrückend, als Verlust von Attraktivität und als Erotikkiller erlebt.
Die Sehnsucht nach Nähe, Geborgenheit, Hingabe und Empathie auf der einen Seite ersetzt nicht das gesunde Ausbalancieren von Eigenständigkeit, sodass jeder Partner eigene Bereiche erfüllend leben kann. Anstelle von zuschreibender Polarisierung und Machtkämpfen geht es darum, als Paar miteinander ein Wechselspiel von Flexibilität und Verlässlichkeit zu finden.
Oft besteht im Paar eine Polarität. Ein Partner besetzt eher den Pol der Autonomie, der andere Partner besetzt eher den Pol der Bindung, so wie bei Anna und Tom.
Tom ist engagiert im Fussballverein und im Elternbeirat. Anna ist gemeinsame Familienzeit mit den Kindern und dem Partner sehr wichtig.
Sie erlebt Toms Engagement als persönliche Ablehnung. Anna: «Ich fühle mich von Dir als Frau und als Mutter alleine gelassen. Du fehlst mir.»
Tom erlebt Annas Einfordern von Familienzeit als einengend. Er fühlt sich unter Druck. Er liebt Anna. Jedoch ist ihm sein gesellschaftliches Engagement ebenfalls sehr wichtig. Tom: «Ich habe Dich lieb Anna. Ich bin gerne zu Hause, aber mein Engagement im Verein und im Elternbeirat belebt und bestätigt mich.»
Das Ringen um die Bandbreite im Dazwischen kann je nachdem welche Bindungssicherheit im Paar bereits besteht, als lustvoll, oder als herausfordernd erlebt werden. Nachdem beide ihre Bedürfnisse benennen und gegenseitig anerkennen konnten, gelang es Ihnen in diesem gemeinsamen Differenzierungsprozess die Pole von Autonomie und Bindung auszubalancieren. Die von ihnen gefundene Lösung war, wechselseitig einen Paarabend pro Woche miteinander zu gestalten und am Wochenende eine gemeinsame Familienzeit einzuplanen.
Wichtige Fragestellungen in diesem Beziehungsprozess können sein:
- Gelingt es uns als Paar, die Bedürfnisses nach Wahlfreiheit (Autonomie), sowie die Bedürfnisses nach Geborgenheit und Sicherheit (Bindung) auszubalancieren?
- Wer von uns beiden erlebt sich eher auf dem Pol der Autonomie, wer erlebt sich eher auf dem Pol der Bindung?
- Ist jeder von uns bereit, sowohl auf ein Stück Bindungsbedürfnis wie auch auf ein Stück Autonomie zu verzichten?
- Verfügt jeder von uns über ein tragendes Selbstwertgefühl?
- Kann jeder von uns seine eigenen Grenzen wahr nehmen, diese Grenzen setzen und die Grenzen des anderen anerkennen?
Unterstützend in diesem Entwicklungsprozess können innere Haltungen sein wie:
- empathische Bezogenheit
- die Bereitschaft aus einer okay-okay Haltung miteinander zu verhandeln
- einen gemeinsamen Konsens anzustreben
- respektvolle Rücksichtnahme.
Gerne unterstütze ich Paare im Ringen um wohltuende Nähe und Distanz. Grundlage dafür ist wahrzunehmen und zu verstehen, welche sensiblen, verletzlichen Bindungs- und Autonomiebedürfnisse jeder in seinem Rucksack als emotionalen Motor mitgebracht hat.
Diese Bedürfnisse wollen gewürdigt und wohlwollend willkommen geheissen werden.