Newsletter Juli 24
Was die Liebe lebendig hält -
miteinander sprechen lernen
In meiner langjährigen Beratungsarbeit mit Paaren ist mir klar geworden, wie Reflexion und Tiefe der Selbstwahrnehmung und des emotionalen Erlebens ein wunderbares Fundament sein kann, sowohl für die individuelle Integration persönlichen Erlebens als auch für die Qualität der Beziehungsgestaltung.
Die innere Klarheit im Umgang mit Bedürfnissen und das liebevolle sich gegenseitig Einschwingen in der Begegnung erschafft immer wieder neu eine reife Liebe im Alltag.
Im Beratungsprozess achte ich darauf, wie die Partner in ihrem gegenwärtigen emotionalen Erleben verbunden sind. Ich nehme wahr, wenn der Beziehungsprozess in einen distanzierten, kühlen, abstrakten Modus übergleitet. Eine erfüllende Verbundenheit erscheint so nicht möglich.
Im Alltag geht es immer wieder darum, die Liebe neu zu erschaffen und sie lebendig zu halten. Wie das konkret aussehen soll, entscheidet das jeweilige Paar. Im Bild gesprochen verhält es sich mit der Liebe wie mit dem Erlernen einer Sprache. Je mehr das Paar seine Sprache der Liebe übt und bereit ist, die Beziehung zu pflegen, umso fließender und müheloser gelingt das Miteinander «sprechen». Spricht das Paar nicht mehr miteinander, so verliert es nach und nach diese Sprache.
Emotionale Bezogenheit in den Gesprächen stärkt die liebevolle Verbundenheit. Sie fördert die Flexibilität für sich selbst und füreinander neugierig zu bleiben. Dabei können bestimmte Schritte als Landkarte dienen, um miteinander aufzutanken und die Liebe lebendig zu erhalten.
Folgende Schritte können im Beratungsprozess erfahren und im Alltag zu Hause geübt und vertieft werden:
Gefahrenpunkte in der Beziehung erkennen
Es geht darum, sich Gefahrenpunkte in der Beziehung bewusst zu machen, d.h. die Auslöser, die in die Verunsicherung führen und Verletzungen berühren, achtsam wahrzunehmen.
Diese Triggerpunkte werden zunächst im sicheren Beratungs-Setting und später im Alltag miteinander rekapituliert. In dem Moment, in dem die sensiblen Themen berührt werden, gilt es inne zu halten und zu lernen miteinander Weichen zu stellen. Diese Weichen führen zu einer sicheren Verbundenheit zurück, bevor sich das Paar in die Negativdynamik verstrickt.
Z.B. «Ich glaube, dass ich über deine Affaire hinweggekommen bin. Aber du musst wissen, dass schon die geringste Andeutung von Dir, dass wir zu wenig Sex haben, in mir den Impuls auslöst wegzurennen und mich zu verstecken. Dann holt mich die Angst ein, dass du immer mehr haben willst, als ich Dir geben kann. Die Angst überwältigt mich nicht mehr, aber mir wird richtig flau. Könntest Du mir nicht einfach sagen, dass wir guten Sex miteinander haben und dass Du mich liebst?» sagt Anna zu Tom. Tom schaut sie verständnisvoll und berührt an: «Ja das kann ich».
Zentral ist, die grossen und kleinen Momente zu würdigen, in denen sich die Partner als füreinander offen und einander zugewandt erleben.
Z.B.: Anna stellt ihren Partner ihren Freunden vor mit: «Und das ist mein Liebster». Tom fühlt sich angenehm berührt, er spürt, ja ich bin «etwas Besonderes» für Anna.
Tom sagt zu Anna: «Ich glaube, ich hätte es ohne Dich nicht geschafft, meine Krise in der Arbeit durchzustehen. Du warst immer für mich da, auch wenn ich mich zurückgezogen und mich als der grösste Versager gefühlt habe. Du hast dann zu mir gesagt, «Du bist und bleibst mein Partner, den ich so sehr liebe, was auch immer geschieht.» Das hat mir Halt gegeben und mich tief berührt.»
Es geht für das Paar darum, den positiven Einfluss aufeinander zu vertiefen und die Wendepunkte zu benennen, die in der aktuellen Beziehungsgeschichte die Liebe im Alltag stärken.
Rituale entwickeln
Im Alltag gilt es, Rituale für die Momente der Trennung und Wiedervereinigung zu planen, in der das Paar die gemeinsame Bindung anerkennt und sich wechselseitig hält und stützt.
Z.B. regelmässiges sich in den Arm nehmen und Küssen, beim Aufwachen, beim Verlassen des Hauses und beim Heimkommen von der Arbeit; Vereinbarung einer gemeinsamen Paar-Zeit; gemeinsame Teilnahme an einem Kurs, um zusammen etwas Neues zu lernen, oder an einem gemeinsamen Projekt zu arbeiten. Entwicklung eines Paar- Rituales, für den Austausch über persönliche Angelegenheiten. All diese Rituale haben das Ziel die Beziehung zu pflegen und zu schützen.
Emotionale Sicherheit und gegenseitiges Vertrauen erarbeiten
Hier geht es darum die Bindungsthemen wahrzunehmen, die hinter den Meinungsverschiedenheiten und Streitereien verborgen sind und gemeinsam herausfinden, wie sie sich entschärfen lassen. Dies dient dem Aufbau der emotionalen Sicherheit und dem gegenseitigen Vertrauen. So lernt das Paar, Probleme zu lösen, ohne in die Verstrickungsauslöser einzutauchen. Der Fokus liegt auf einer «Sicherheit-zuerst-Strategie.» Sobald die emotionale Sicherheit wieder hergestellt ist, kann ein Partner ein Problem auf eine ruhigere, weniger aggressive Art ansprechen, während der andere Partner präsent bleiben und zuhören kann, auch wenn er/sie mit der vorgetragenen Sichtweise nicht einverstanden ist.
Z.B. Tom klettert gerne und Anna macht sich Sorgen um ihn. Schon wenn er die nächste Tour mit Freunden plant, hat sie Angst um ihn. Früher hat sie diese Touren vehement kritisiert. Jetzt frägt Tom Anna, ob sie zunächst über ihre Gefühle mit ihm sprechen möchte, die diese Tour in ihr berührt, bevor er mit ihr die nächste geplante Tour besprechen möchte. Anna weiss diese Frage zu schätzen. Sie fühlt sich nicht mehr im Stich gelassen von ihm, wenn er zur nächsten Tour aufbricht, hat jedoch nach wie vor Angst um ihn. Tom verspricht, sich an die Sicherheitsregeln zu halten und bietet ihr zusätzlich an, auf die nächste Tour zu verzichten, falls ihre Angst zu groß ist. Anna fühlt sich von Tom gehört und empfindet seine Worte als beruhigend. Jetzt können die beiden entspannter miteinander besprechen, wie Anna die Zeit von Toms Abwesenheit organisieren möchte.
Gemeinsam die Geschichte einer resilienten Beziehung entwickeln
Diese Geschichte handelt davon, wie das Paar zueinander Brücken bauen und diese immer wieder neu bauen kann, um so das Band einer liebevollen Verbundenheit zueinander kontinuierlich zu knüpfen. Diese Geschichte berichtet davon, wie die Partner Brüche kitten, sich wiederfinden und Verletzungen vergeben können. Diese Geschichte ermöglicht dem Paar sich im Alltag immer wieder neu ineinander zu verlieben.
Wenn Paare in Negativdynamiken verstrickt sind, nehmen sie in diesen Momenten die Paardynamik oft verzerrt wahr. Haben Paare Mühe eine gemeinsame Geschichte ihres Erlebens zu finden, helfen Adjektive oder Bilder, wie z.B. Sackgasse, ausgelaugt, Minenfeld, um das gemeinsame Erleben zu beschreiben. Aussagekräftig sind auch Verben, die das Beziehungsmuster beschreiben, wie z.B. «ich habe Dich bedrängt und Du hast Dich abgewendet». Oder sie erinnern sich an einen Schlüsselmoment, in dem sie sich wieder in die Augen schauen konnten.
Tom zu Anna: »Ich habe Dich angesehen und deine Traurigkeit gefühlt. Dann habe ich Dich in den Arm genommen und Dir gesagt, dass ich mich nach Deiner Nähe sehne und deine Hilfe dazu brauche.» Anna: « Ich habe mich so gefreut, dass Du zu mir zurückgekommen bist und am Abend haben wir zusammen gekuschelt. Ich habe es so sehr genossen Dich zu spüren.»
Vision für die Zukunft der Liebe entwickeln
Diese Vision beinhaltet, wie die Bindungsbeziehung in 5 oder 10 Jahren aussehen soll und wie sich die Partner gegenseitig dabei helfen können diese Vision zu verwirklichen.
Tom sagt zu Anna: « Ich möchte mich gerne selbständig machen und ich weiss, dass ich das mit Deiner Hilfe schaffen kann.» Anna zu Tom: «Ich möchte gerne ein Fernstudium machen.» Sie ist froh, dass Tom ihr anbietet, in dieser Zeit am Abend für die Kinder da zu sein. Beide wollen die neu gewonnene emotionale Nähe pflegen und ihr Sexualleben lebendig miteinander geniessen.
Gemeinsam Auftanken
All diese Schritte führen dazu, dass das Paar miteinander auftanken kann. Eine liebevolle Beziehung ist ein kontinuierlicher Prozess von Verlust und wieder Anstreben von emotionaler Verbundenheit. Dieser lebendige Prozess braucht in unserer schnelllebigen Zeit immer wieder Engagement füreinander, um im Hier und Jetzt präsent zu bleiben und das eigene Bindungsbedürfnis, wie auch das Bindungsbedürfnis des Partners anzuerkennen und zu nähren.
Gerne unterstütze ich Paare darin, in den verschiedenen Lebensphasen die Liebe aufmerksam und umsichtig zu pflegen und gemeinsam aufzutanken.