Newsletter Februar 24
Positionen im Negativkreislauf
Die Not des angriffigen Verfolgers und die Not des flüchtenden Rückzüglers
Im Beziehungstanz der Paare zeichnen sich im Negativkreislauf bestimmte Positionen ab, die die Partner einnehmen.
Ein Teil ist, was im Verhalten in den Konfliktsituationen im Aussen sichtbar wird, der andere Teil ist, was in der Innenwelt der Partner berührt wird.
Im Beziehungstanz (oder auch Beziehungskampf) der Partner werden Teile dieses inneren Erlebens emotional nicht wahrgenommen und dann in bestimmten Beziehungsmustern reaktiv oder defensiv ausagiert. Der treibende Motor bleiben als Verletzung wahrgenommene, unerfüllte Bedürfnisse. Der Partner wird als Gegner erlebt, das Paar schiebt sich gegenseitig die Verantwortung für die erlebte, entfremdende Distanz zu.
Was macht die innere Not des Rückzüglers und des Verfolgers aus und wie sieht der sich daraus entwickelnde Negativkreis im Paar aus?
Die innere Welt des Rückzüglers
Um die Position des Rückzüglers, seine Wahrnehmung, seine Gefühle und sein Verhalten im Beziehungszyklus besser zu verstehen, werfe ich den Blick auf sein inneres Erleben.
Der Rückzug ist ein Versuch, die Begegnung zu managen und die Angst vor einer Zurückweisung zu regulieren. Es ist ein Versuch, die Bestätigung innerer Glaubenssätze, nämlich sich selbst als nicht liebenswert zu definieren, zu vermeiden und so diesen Fehler im Innen zu regulieren. Der Rückzügler geht so aus dem Kontakt, er überreguliert sich damit selbst.
Primäre Gefühle des Rückzüglers, also die Gefühle, die verschüttet unter dem verunsicherten, ängstlichen Rückzug verdeckt liegen, sind die Angst vor Zurückweisung, insbesondere von dem Menschen, den er liebt, und die eigene, hohe Verletzlichkeit. Er befürchtet alles noch mehr zu verschlimmern, wenn er in der Konfliktsituation im Kontakt bleibt. Seine Scham, nicht geliebt werden zu können, schürt Selbstzweifel und Minderwertigkeitsgefühle.
Sekundäre Emotionen, oder anders gesagt Emotionen, die über der Angst liegen, zurückgewiesen zu werden, sind: sich unzulänglich, abgewiesen, nachtragend, depressiv, wütend oder überwältigt zu fühlen. Diese Gefühle werden von Glaubenssätzen genährt wie «niemals etwas richtig machen zu können», sich wie ein Versager zu fühlen und dabei wie auf Eierschalen zu laufen, in der Sorge davor, jederzeit beschädigt werden zu können oder auch den anderen zu verletzen.
Der Handlungsimpuls zeigt sich in Rückzugsverhalten, im sich abkoppeln, sozusagen die Schotten dicht machen, um die eigene Aufgewühltheit zu meistern und die eigenen, als überwältigend erlebten Gefühle zu regulieren.
Die Hoffnung dabei ist, dass alles ruhiger wird. Der Rückzügler möchte die Beziehung vor Streitereien schützen. Er möchte auch sich selber schützen und den Partner nicht abweisen. Im Grunde möchte er gerne von diesen unangenehmen Gefühlen weg und nicht von seinem Partner.
Die innere Welt des Verfolgers
Um den Verfolger, seine Wahrnehmung, seine Gefühle und sein Verhalten im Beziehungszyklus besser zu verstehen, beschreibe ich sein inneres Erleben.
Das kritische, verfolgende Verhalten im Aussen ist der Versuch, die erlebten Unzulänglichkeiten des Partners zu ändern, sowie ein Protest gegen Isolation und Verlassenheit. Die Gefühle des Verfolgers sind unterreguliert. Der Versuch, auf die Fehler des anderen zu fokussieren, dient dazu, die eigenen schmerzlichen und verletzten Gefühle nicht wahrzunehmen und stattdessen die Fehler im Aussen zu bekämpfen. Dieses Verhalten ist oft ein Protest gegen das Gefühl, sich alleine gelassen und isoliert zu erleben, insbesondere von dem Menschen, der geliebt wird.
Primäre Gefühle des Verfolgers, die wie verschüttet unter dem verzweifelten Kampf liegen, den anderen doch endlich zu erreichen, sind Trauer, Schmerz und Angst. Es kann dabei um die Angst gehen:
- alleine zu sein,
- ungeliebt zu sein,
- verlassen zu sein,
- dem anderen nichts zu bedeuten.
Sekundäre Emotionen, oder anders ausgedrückt, Emotionen, die sich unbewusst über diese Angst gelagert haben und reaktiv oder defensiv ausgelebt werden, sind zum Beispiel das wütende, kritische Klagen darüber, abgewiesen und verlassen zu werden, oder auch die Scham, der Partner wendet sich dem anderen nur zu, wenn dieser darum bittet oder darum kämpft.
Dahinter liegt das Bedürfnis nach Kontakt, nach Sicherheit, und der Wunsch, die eigenen Gefühle regulieren zu können.
Handlungsimpulse können sein:
- den anderen zu verfolgen, um eigene Gefühle zu regulieren,
- zu protestieren, um Bestätigung zu bekommen,
- anzugreifen, um Kontakt herzustellen,
- zu kritisieren, indem ich dem anderen Ratschläge erteile.
Aus dieser Verzweiflung und Angst heraus ist für den Verfolger negativer Kontakt besser als gar kein Kontakt.
Seine Kritik hat zum Ziel, den Abstand in der Beziehung zu überwinden. Er versucht gegen den Kontaktverlust zu kämpfen. Seine Wut ist Ausdruck für seine Hoffnung, dass der Partner vielleicht doch noch für ihn da sein könnte.
Im Folgenden beschreibe ich ein Beispiel, wie sich ein Paar in den Positionen des Rückzüglers und der Verfolgerin verstrickt:
Klara: Jetzt habe ich meiner Tochter ein so schönes Weihnachtsgeschenk für die Enkelin geschickt und wieder ist es nicht recht. Und ich habe extra eine teure Jacke von ihrer Lieblingsfirma besorgt. Ich bin richtig ärgerlich.
Tom (sagt ruhig): Ich verstehe nicht, warum du ihr immer wieder etwas schenkst. Ich mache das nicht, das gibt ja doch nur Ärger.
Klara: Ja, du solltest dich mehr um deine Tochter kümmern, dann hätten wir wieder mehr Kontakt mit ihr.
Tom: (Tom antwortet nicht und zieht sich wortlos zurück)
Klara: (Fühlt sich unverstanden und alleine gelassen, geht Tom hinterher und kritisiert weiter)
Tom: (zieht sich endgültig zurück und geht eine Runde joggen)
Klara: (fühlt sich abgewiesen und wartet frustriert, bis er wieder kommt) Dein Sport ist dir wichtiger als ich.
Nach einer Exploration und Evokation (verstehendes Vertiefen der Emotionen beider) fasse ich im Beratungsprozess das negative Beziehungsmuster beider zusammen:
Paarberaterin zu Klara:
«Also so gehst du mit schwierigen, verletzlichen Gefühlen um. Du kriegst es mit der Angst zu tun, den Kontakt mit deiner Tochter zu verlieren und von deinem Mann allein gelassen zu werden. Dann kommt die Angst auf, dass du in ein dunkles Loch fallen könntest. Und dein inneres Verständnis ist, »wenn ich nicht depressiv werden möchte, dann kämpfe ich», und dann wirst du laut.
Und an Tom gerichtet: «Und du nimmst deine Frau als laut und als kritisch wahr, dann kommt bei dir die Reaktion, «ich will darüber nicht mehr sprechen, ich will nicht immer diese alte Wunde (Verletzungen über die fehlende Wertschätzung der Tochter) aufreissen». Dann schweigst du und gehst weg. Und je mehr du schweigst und weggehst, umso schwieriger ist das für deine Frau, weil sie sich alleine fühlt und kritischer wird. Je kritischer sie wird, desto mehr fühlst du, wie die alte Wunde schmerzt. Dann schweigst du und ziehst dich immer weiter zurück.
Und an beide gewandt: «So leidet ihr beide.»
In der Paarberatung geht es für Tom darum, besser zu verstehen, wie für ihn der Rückzug von seiner Frau der Versuch ist, für Ruhe zu sorgen. So schützt er sich davor, immer wieder in diese unangenehmen Gefühle mit hineingezogen zu werden, die er zwischen seiner Frau und der Tochter erlebt.
Für Klara geht es darum zu verstehen, wie wichtig ihr der Kontakt mit der Tochter ist, wie weh es ihr tut, die Zurückweisung und Kritik der Tochter zu erleben. Sie fühlt sich in dieser Angelegenheit nicht verstanden von dem Mann, den sie liebt, sie fühlt sich von ihm alleine gelassen. Schritt für Schritt lernen die beiden im Beratungsprozess, ihre Positionen im Beziehungszyklus zu verstehen und diesen «Beziehungstanz» neu zu gestalten.
Sie lernen in einem nächsten Schritt, sich dem Partner in ihrer Verletzlichkeit zu zeigen:
Klara schaut Tom an: «In dem Moment, in dem ich aggressiv werde, habe ich Angst, in ein tiefes Loch zu fallen. Ich werde aggressiv, doch eigentlich sehne ich mich nach Anerkennung. Wenn ich merke, dass du so still wirst und dich zurückziehst, fühle ich mich ganz alleine.»
Tom schaut Klara an: «Ich sehne mich nach Frieden und Harmonie in der Beziehung. Das gelingt mir nicht, wenn ich dich als so kritisch und laut wahrnehme und du mir sagst, was ich tun soll. Ich möchte keinen Streit mit dir, dann ziehe ich mich lieber zurück.»
Beide verstehen jetzt besser, was hinter den leidvollen Momenten in jedem von ihnen vorgeht. Sie lernen, sich dem anderen in kleinen Schritten verletzlich zu zeigen, und sie gehen aus dieser wohlwollenden, füreinander offenen Haltung anders aufeinander zu.
Gerne unterstütze ich Paare, sich der Positionen, die sie in ihrem negativen Kreislauf einnehmen, bewusst zu werden, die innere Tür zu ihrem Erleben wieder zu öffnen.