Newsletter August 24
Verletzungen anerkennen -
Ich verzeihe mir und ich verzeihe Dir
Beziehungen ohne Verletzungen gibt es nicht. Verletzungen in Liebesbeziehungen anzuerkennen, und zu erleben, dass wir selber verzeihen und dass auch uns verziehen wird, aktiviert in der Beziehung eine starke, tragfähige Verbundenheit. Diese neue Kraft ermöglicht den gemeinsamen «Beziehungstanz» schwungvoller zu gestalten. Und wenn das Paar sich gegenseitig auf die Füsse tritt, weiss es, dass der Schmerz wieder vergeht. .
Verletzungen anerkennen
Das Verletzungsritual unterstützt Paare dabei, neu miteinander in Kontakt zu kommen. Der Kontakt ist verloren gegangen, indem durch bestimmte Ereignisse in der Paargeschichte tiefe Wunden berührt wurden und das Paar den Boden unter den Füssen verloren hat.
Um wieder Beziehung zu ermöglichen, können folgende Schritte hilfreich sein.
Beschreibung der Verletzungen
Der verletzte Partner beschreibt möglichst offen und in einfachen Worten seinen Schmerz.
Für den verletzten Partner geht es darum, dem beschuldigten Partner möglichst ohne Vorwürfe den erlebten Schmerz mitzuteilen. Für den beschuldigten Partner geht es darum, sich in den Schmerz und die Wut des verletzten Partners einzufühlen und dessen Erleben zu verstehen.
Beim Sammeln und Reflektieren der Verletzungen können folgende Fragen hilfreich sein:
Gab es eine Situation, in der ich
-den Partner als eine bedrohliche Gefahrenquelle erlebte?
-mich durch den Partner entwertet fühlte?
-mich vom Partner alleine gelassen fühlte?
-mich in einer Situation in der ich bedürftig war, vom Partner ignoriert/nicht getröstet wurde?
Emotionale Präsenz
Der verletzende Partner bleibt emotional präsent. Er erkennt nicht nur den Schmerz des anderen an, sondern auch den Beitrag, den er dazu geleistet hat. Der verletzte Partner übernimmt Verantwortung für seine eigene Verletzlichkeit, wenn der Partner seine Wunde berührt und wie er mit dieser erlebten Verletzung umgeht.
Unter dem Blickwinkel der Bindungsbeziehung betrachtet, ist es verständlich, dass der verletzte Partner den anderen mit Protesten und Forderungen konfrontiert. Ist der als verletzend erlebte Partner bereit den verletzten Partner zu verstehen, so macht er sich wieder berechenbar. Seine emotionale Präsenz ermöglicht es dem verletzten Partner anders als gewohnt mit dem Schmerz umzugehen.
Übernahme von Verantwortung
Im Moment des Verletzt-Werdens, treffen viele Menschen einen «Nie wieder Entschluss».
Anna hat die Diagnose Krebs. Als sie dies Tom mitteilt, zieht Tom sich wortlos in sein Zimmer zurück.
Anna in Bezug auf Tom: «Nie wieder werde ich mich verletzlich machen und mich verletzlich zeigen. Lieber verlasse ich diese Beziehung.»
Eine einfühlsame Reaktion des Partners in der Aufarbeitung darauf kann sein:
Tom zu Anna:
«Ich möchte nicht, dass Du Dich so fühlst und finde es unerträglich, dass Du ans Aufgeben denkst.»
Der Partner, der die Verletzung ausgelöst hat, übernimmt Verantwortung für seinen Anteil. Er bringt Bedauern und Reue zum Ausdruck. Eine unpersönliche defensive Entschuldigung hilft in solchen Momenten dem Partner nicht weiter.
«Tut mir leid, okay?»
Diese Entschuldigung bagatellisiert im Erleben des anderen den Schmerz. Will der verletzende Partner, dass ihm geglaubt wird, so ist wichtig, dass er dem anderen zuhört, sich in den Schmerz des anderen hineinversetzt und ausdrücken kann, dass ihn der Schmerz seiner Partnerin berührt.
Als Tom sich Anna zuwendet, ist in seiner Stimme seine Traurigkeit und Reue spürbar. Auch sein Gesicht zeigt, wie sehr er das Geschehene bedauert.
Tom zu Anna: « Ich habe Dich wirklich enttäuscht. Ich war nicht da, als Du mich gebraucht hättest. Das tut mir leid. Ich war völlig überfordert, als Du mir die Krebsdiagnose mitgeteilt hast und habe Dich alleine gelassen. Du hast allen Grund auf mich wütend zu sein. Ich habe nicht gedacht, dass meine Unterstützung für Dich so wichtig sein könnte. Jetzt ist mir klar, dass ich Dich sehr verletzt habe. Ich war verwirrt und musste an die Krebsdiagnose meiner Mutter damals denken. Ich habe mich in mein Zimmer zurückgezogen und habe geweint. Ich möchte versuchen meinen Fehler wieder gut zu machen, wenn Du es zulässt.»
Anna reagiert sehr berührt auf Toms Entschuldigung.
Anna zu Tom:
«Dein Verständnis und deine Entschuldigung kommen bei mir an. Ich nehme deine Entschuldigung an und verzeihe Dir, Tom.»
Toms Verhalten und seine Worte lassen keinen Zweifel daran, dass er Annas Schmerz mitfühlt und berührt ist.
Manchmal braucht es mehrere Anläufe, um die verschiedenen Schritte zu vollziehen und den anderen zu erreichen.
Toms Entschuldigung ist nicht nur ein Ausdruck seines Bedauerns, sondern beinhaltet auch seinen Wunsch die emotionale Verbundenheit wieder herzustellen.
Formulierung konkreter Wünsche
In einem nächsten Schritt kann ein die Bindung wiederherstellendes Gespräch stattfinden, um so die gekappte Beziehungsverbindung zu verarbeiten.
Das kann geschehen, indem Anna zusammenfasst, was sie im Hier und Jetzt braucht.
Anna zu Tom:
« Ich hätte deinen Trost und deine Unterstützung damals gebraucht. Ich hätte deine Berührung und von Dir gehalten zu werden gebraucht. Und ich brauche sie jetzt. Wenn ich daran denke, dass der Krebs zurückkommt und ich die Distanz zwischen uns spüre, dann brauche ich deine Hilfe.»
Tom zu Anna:
«Ich möchte, dass Du das Gefühl hast, dass Du Dich auf mich verlassen kannst. Ich möchte, dass Du Dir sicher bist, dass ich für Dich da bin. Ich bin nicht gut darin, mich in die Gefühle anderer Menschen hinein zu versetzen, aber ich kann es lernen.»
Entwicklung einer achtsamen Gesprächskultur:
In einem weiteren Schritt geht es darum, das Paar darin zu unterstützen eine neue Geschichte über das verletzende Ereignis zu verfassen, sodass beide verstehen, wie dieses Ereignis die gemeinsame Verbundenheit untergraben hat und die Negativdialoge entstanden sind. So bearbeitet das Paar die Beziehungsdistanz. Im Bild gesprochen werden jetzt die Fäden zu einem neuen Beziehungsteppich geknüpft.
Das Paar bespricht miteinander als Team, wie sie einander helfen können, von dieser Verletzung zu lernen und weitere Kränkungen zu verhindern.
Tom zu Anna: Es war für mich leichter, deine Schwester zu trösten, weil sie mir nicht so nahestand. Das klingt verrückt. Bei ihr denke ich nicht darüber nach, ob ich etwas falsch machen könnte. Ich kann nachvollziehen, dass Du dich nach diesem Vorfall nicht mehr mit deiner Angst, dass der Krebs wieder kommt, an mich gewandt hast. Ich weiss, wieviel Mut es Dich gekostet hat, mir all das jetzt noch einmal zu sagen. Es fühlt sich für mich gut an, jetzt darüber sprechen zu können, ohne von all den Verletzungen überwältigt zu werden.»
Anna zu Tom: « Ich freue mich, dass Du mir vorgeschlagen hast, Dir ein Signal zu senden, wenn ich von Dir gehalten werden muss. Es zeigt mir, dass Du Dir wirklich Gedanken machst, wie Du auf mich eingehst und sicherstellst, dass so etwas nicht noch einmal passiert.»
Auch anderen Paaren fällt es schwer, das verlorene Vertrauen und die Negativdynamiken zu verarbeiten.
Manchmal müssen die Gespräche, in denen alte Verletzungen verziehen werden können, im geschützten Beratungsrahmen mehrmals wiederholt und Rituale gesucht werden, um einander wieder Sicherheit zu vermitteln.
Verletzungen können wir verarbeiten, ganz verschwinden werden sie nicht.
Gerne unterstütze ich Paare darin, für die Wiederherstellung der Verbundenheit in ihrer Beziehung zu sorgen, einen Neuanfang zu wagen und sich auf dem Weg der gemeinsamen Liebe, neu aufeinander einzuschwingen.