Newsletter April 24
Handlungsspielraum schaffen
Leichtigkeit und Verbundenheit in der Beziehung
Bindungsbeziehungen machen verletzlich. Einerseits bieten sie die Chance, um miteinander als Paar aufzublühen und sich zu entwickeln, andererseits werden alte Wunden berührt. Es können neue Verletzungen entstehen, die im Paar zu emotionaler Distanz bis hin zur Entfremdung führen.
Im neugierigen Erforschen der Beziehungsmuster besteht die Chance, Verantwortlichkeiten zu klären und bestehende Verletzungen zu verarbeiten.
Im Alltag erleben viele Paare, wie sich Negativkreisläufe in Beziehungsprozessen verselbständigen. Je stärker das Bedürfnis nach Bindung, desto intensiver werden die aus den Negativkreisläufen entstehenden Verletzungen erlebt. Die Partner fühlen sich hilflos und gefangen in diesem schmerzlichen Beziehungsprozess mit dem geliebten Menschen.
Bedingt durch bestehende alte Verletzungen gibt es Verwirrungen in der Beziehungsgestaltung. Diese stehen im Alltag unausgesprochen zwischen den Partnern. Die Verletzungen werden im Kontakt miteinander oft vermieden und führen zu einer ungelösten Problemverschiebung. Sie zeigen sich dann meist als eine überraschende, plötzliche Abgrenzung im Aussen. Diese wird vom Partner als Kontakt- oder Beziehungsabbruch oder als überschiessender, zutiefst verletzender Angriff empfunden.
In diesen emotionalen Prozessen gilt es zu verstehen, wie sich die Partner in Augenblicken grosser Verletzlichkeit im Umgang mit ihren Gefühlen verhalten.
Folgende Fragestellungen sind auf der Suche nach neuen Bewältigungsstrategien hilfreich:
- Wo wird der (Bindungs-)Konflikt sichtbar?
- Wie sieht der negative Interaktionszyklus aus?
- Welche bisher verleugneten Emotionen liegen unter dem Konflikt?
- Wie kann eine Neurahmung des Konfliktes dabei helfen, die eigene Erlebensweise und die Erlebensweise des Partners zu akzeptieren?
- Wie können neue Reaktionen in der Interaktion miteinander entwickelt werden?
Im Folgenden beschreibe ich anhand eines Beispiels, wie es möglich ist, im Beratungsprozess
- gegenseitige Verletzungen anzuerkennen,
- Verantwortlichkeiten zu klären,
- eigene Anteile zu sich zu nehmen,
- Anteile des Partners wohlwollend beim Partner zu lassen,
- neugierig neue Optionen zu erforschen.
Im Beratungssetting können gegenseitig verstehende Gespräche erlebt und später im Alltag zu Hause umgesetzt werden.
In klärenden Beratungssequenzen geht es um die Frage, wie viel Zugang jeder Partner zu seinen Gefühlen hat und wie leicht es fällt, die verletzlichen Gefühle in einfachen Worten vorwurfsfrei mitzuteilen.
Diesem Paar gelingt es, sich füreinander zu öffnen und das eigene Erleben wie auch die Wahrnehmung des anderen anzuerkennen.
Anna: Ich fühle mich dann gut, wenn ich dafür sorge, dass es Dir gut geht. Leider nehme ich mich dabei so sehr zurück, dass ich innerlich ausbrenne. Um Dich zu schonen, verzichte ich darauf, alleine mit Freunden in den Ausgang zu gehen. Wenn ich gehe, spüre ich Deine Eifersucht und wie es Dich verletzt, wenn ich einen schönen, lebendigen Abend mit anderen verbringe. Wenn ich dann zu Hause bleibe, merke ich, wie ich ärgerlich werde, auf mich und auf Dich. Was mir Freude bereitet, schafft für Dich Leid. Ich verstehe, dass ich eine alte Wunde von Dir berühre. Ich weiss, dass deine letzte Partnerin fremdgegangen ist. Ich verstehe, dass die Trennung sehr schwer für Dich war.
Und ich merke, es tut mir nicht gut, für Dich auf den Ausgang zu verzichten, aber ich bin nicht egoistisch, wenn ich für mich sorge. Ich habe Dich lieb und ich bitte Dich mir zu vertrauen.
Tom: (berührt von Annas Worten) In deinen Worten spüre ich Verständnis für Dich und für mich. Das tut mir gut. Ich verstehe, dass Du in den Ausgang gehen und es schön haben möchtest. Ich kann und ich will Dir das nicht verbieten. Solange ich dann mit den Kindern beschäftigt bin, geht es mir gut. In dem Moment, in dem sie schlafen, habe ich grosse Angst, dass ich Dich verlieren könnte. Ich fühle mich wie ein Versager, so als ob ich nicht gut genug für Dich bin. Als ob all die anderen Männer besser sind als ich.
Anna ist berührt davon, wie Tom sich ihr in seiner Verletzlichkeit zeigt.
Anna: Ich habe immer geglaubt, dass ich Dir meinen Ausgang opfern muss, um deine Liebe zu bekommen und um Dich nicht zu verletzen.
Jetzt ist mir klar geworden, dass ich mich selbst verletze, wenn ich nicht gehe, und danach ärgerlich auf Dich bin.
Ich habe jetzt gelernt, wie wichtig es ist, mich ernst zu nehmen und Dich ernst zu nehmen. Mir fällt es leichter, wenn ich dann im Ausgang war und diesen so richtig genossen habe, ein anderes Mal auch darauf zu verzichten. Wenn mein Beziehungskonto auch mit meinen Freunden/innen gut gefüllt ist, freue ich mich umso mehr auf Dich.
Tom. Das verstehe ich. Mir hilft es, wenn Du mir darüber berichtest. Dann habe ich keine Horrorfantasien. Wenn ich spüre, dass ich Dir vertrauen kann, habe ich zwar immer noch Angst, ich kann diese jedoch besser aushalten. Ich habe Dich sehr lieb, Anna.
Nach einer liebevollen Umarmung beschliesst das Paar, konkrete Vereinbarungen für den Alltag zu treffen.
Gerne unterstütze ich Paare darin, Verantwortung und Selbstfürsorge zu übernehmen. So findet das Paar in liebevollem Kontakt für seine unterschiedlichen Bedürfnisse einen gemeinsamen Raum.