Newsletter Mai 23
Einen sicheren Begegnungsraum schaffen – Erkennen eigener Abwehrstrategien
Als Kinder brauchen wir Bezugspersonen (Eltern), die uns idealerweise liebevoll willkommen heissen und uns so annehmen, wie wir sind. Stattdessen erfahren wir in vielen Lebenssituationen, wie es sich anfühlt, nicht gehört, beschuldigt, beschämt, beurteilt oder bestraft zu werden.
Vor diesem Hintergrund nicht erfüllter Bedürfnisse und erlittener Verletzungen entwickeln wir im Umgang mit unserer Lebendigkeit Abwehrstrategien. Erlittene Verletzungen werden überspielt: im Innen, indem wir uns nicht mehr spüren, und im Aussen, indem wir uns cool geben oder uns unsichtbar machen.
Um die Liebe der Bezugspersonen zu gewinnen, nehmen viele Menschen die „Schuld“ für nicht erfüllte Bedürfnisse auf sich selbst.
Der negative Kreislauf
Ein Kind verspürt ein Bedürfnis. Mutter oder Vater erfüllen dieses Bedürfnis nicht. Das Kind drückt sein Bedürfnis durch Weinen oder Schreien aus. Die Mutter ist irritiert oder will das Bedürfnis nicht erfüllen. Das Kind nimmt die Schuld dafür auf sich, im Sinne von „mit mir stimmt etwas nicht“, „ich bin falsch“ und „Mutter oder Vater sind richtig“. In dem entstehenden Kreislauf friert das Kind sein Bedürfnis ein oder spaltet es ab. Es will die Beziehung zu den Eltern nicht gefährden. Das Kind entwickelt Glaubenssätze wie „ich bin es nicht wert“, „ich bin nicht liebenswert“, „Ich bin zu viel“, „ich bin lästig“. Dieser schmerzhafte Zustand führt zu einem Bruch mit dem eigenen Selbst. Das Kind strengt sich enorm an, um die Liebe der Eltern zu erhalten. Als Lösung aus dieser gefühlt kaum aushaltbaren Situation entstehen typische Bewältigungsstrategien:
- Es den anderen recht machen wollen und sich selber dabei verlieren.
- Perfekt sein wollen und auf keinen Fall einen Fehler machen.
- Strenge Regeln und eine hohe Moral befolgen müssen.
- Sich permanent anstrengen, ohne jemals das Ziel zu erreichen.
- Kontrollierende Verhaltensweisen entwickeln.
Der gnadenlose, innere Kritiker
Mit solchen Strategien bleibt der eigene Selbstwert gering, im Aussen entsteht eine hohe Anspannung.
Innere Negativkreisläufe, die viel Energie binden, laufen z.B. so ab:
- Denkmodus: Entspreche ich nicht dem eigenen Perfektionismus, dann bin ich schuld, dass ich nicht geliebt werde – ich bin es nicht wert, geliebt oder begehrt zu werden.
- Verhaltensmodus: Also strenge ich mich noch mehr an.
- Fühlmodus: Gelingt es wieder nicht, positive Zuwendung zu erhalten, fühle ich Scham, ich zerfleische mich selbst, ich fühle mich schuldig und erlebe mich auf einer Identitätsebene als der grösste Versager: Ich bin nichts wert.
Der sichere Begegnungsraum
Grundlage ist die Bereitschaft, uns Zeit zu nehmen, bewusst mit unserer Aufmerksamkeit im Hier und Jetzt anzukommen.
Folgende Fragen können dafür hilfreich sein:
- Welche Anteile in mir möchten gesehen, verstanden und anerkannt werden?
- Was brauche ich, um meine eigene Verletzlichkeit zu regulieren (Selbst-Regulation)?
- Was würde mir im Kontakt mit meinem Partner gut tun, um mich zu regulieren (Co-Regulation)?
Angenehmes und Unangenehmes will wahrgenommen werden, ohne dass wir dem, was gerade ist, ausweichen, es analysieren oder ignorieren. So kann es gelingen, dass wir uns gefühlt mit tiefen, inneren Schichten befassen. Wir bauen eine Brücke zwischen dem, was gerade ist, und dem, was uns Stress bereitet oder uns antriggert. Damit schaffen wir einen Zugang zur eigenen Verletzlichkeit.
Lernchance für Paare
Viele Paare entwickeln in ihrer Paargeschichte sich gegenseitig antriggernde Beziehungsmuster. Das Gute daran ist, dass für beide Partner eine Lernchance besteht, die eigene Verletzlichkeit anzuerkennen, dahinterstehende, unerfüllte Bedürfnisse zu identifizieren, achtsam eigene Grenzen wahrzunehmen und diese im Kontakt mit dem Partner ausdrücken zu lernen.
In geschützten, begleiteten (Paarberatungs-)Prozessen kann so ein für beide sicherer Begegnungsrahmen geschaffen werden.
Gerne begleite ich Paare darin, einen Beziehungsraum miteinander zu entwickeln, der ein achtsames Innehalten und einen liebevollen Blick auf sich selbst und den Partner ermöglicht. So können wieder leichte und lustvolle Momente miteinander erlebt werden.