Newsletter Juli 2023
Beziehung – ein leidvoll-lehrreich-lustvoller Prozess?
Beziehungserfahrungen als Chance nutzen
Als unbeschriebenes Blatt in eine neue Beziehung zu gehen, ist nicht möglich.
Sowohl das System unserer Herkunftsfamilie wie auch die Geschichte unserer Paarbeziehungen haben uns geprägt.
Diese Erfahrungen haben einen Einfluss:
- auf unsere Beziehungsvision, d.h. wonach wir uns in einer Beziehung sehnen,
- auf unser „Beuteschema“, also in wen wir uns verlieben,
- auf unsere Bindungserfahrungen, das meint auf unseren Umgang mit Verlässlichkeit, Sicherheit, Vertrauen, Nähe und Distanz.
Habe ich ein unsicheres Bindungsmuster entwickelt, weil ich, als ich die andere Person (Elternteile/Partner) gebraucht hätte, mich von ihr verlassen und verraten gefühlt habe? Auf Verhaltensebene habe ich mich dann von dieser Person immer wieder emotional distanziert und innere Glaubenssätze entwickelt wie: Nähe ist bedrohlich und gefährlich, Bindungspersonen sind nicht verlässlich. Oder konnte ich ein sicheres Bindungsmuster entwickeln, weil da jemand war, der zu mir stand und mir Fürsorge und Trost gegeben hat, so dass ein Erleben von mich öffnen, mich vom anderen gehalten und mit ihm verbunden fühlen, möglich war?
Hilfreiches Wissen und konstruktive Haltungen in der Beziehungsgestaltung
Gelingt es, mich selber so anzunehmen, wie ich bin, dann verändere ich mich. Betrachte ich einen Sonnenaufgang, dann sage ich nicht zu der Sonne, da bitte etwas mehr orange in der rechten Ecke. Ich nehme den Sonnenaufgang so, wie er gerade ist. Ich versuche nicht, ihm meinen Willen und meine Wünsche aufzuzwingen, wie ein perfekter Sonnenaufgang zu sein habe. Auch Partner können genauso wundervoll erlebt werden wie ein Sonnenaufgang. Wo gelingt es den Partner so zu lassen, wie er ist, und in welchen Punkten scheint das unmöglich zu sein? Was kann dahinter stehen?
Bedürfnisse in Paarbeziehungen:
Autonomie (Freiraum, Selbstständigkeit) und Bindung (Zugehörigkeit, Sicherheit)
Im Paar-Begegnungsraum gibt es Bedürfnisse, die Paare miteinander leben wollen, wie z.B:
- die eigenen Bedürfnisse und Gefühle ausdrücken zu dürfen,
- selbstbestimmt gesunde Grenzen ziehen können,
- sich selbst und sich gegenseitig im Paar wertschätzend als liebenswert und begehrenswert zu erleben,
- gemeinsame Werte und gemeinsame Hobbies zu leben,
- Lebendigkeit, Spontaneität, Spiel und Spass miteinander zu erleben,
- Sinnlichkeit, Zärtlichkeit, für viele Paare auch Erotik miteinander zu geniessen.
Können diese Bedürfnisse nicht befriedigend miteinander gelebt werden, so hat dies einen wichtigen Einfluss auf die Zufriedenheit beider Partner.
Besteht bei beiden Partnern die Fähigkeit, die eigenen Gefühle zu spüren, sie zu regulieren und dem Partner zu vertrauen, entwickelt sich ein tragfähiges Netz mit den dazugehörigen, sicheren Beziehungsmustern. Es ist beiden Partnern möglich, um Trost zu bitten oder auch den Schutz und die Fürsorge des anderen anzunehmen oder sie dem anderen zu geben. Die Aufmerksamkeit ist dann frei für Intimität und wohltuende Unternehmungen oder um das, was der Alltag abverlangt, liebevoll und bezogen zu bewältigen. Das Paar erlebt sich als füreinander zugänglich, aufeinander antwortend und in der Beziehung emotional engagiert. Gefühle können auf diesem Fundament (sichere Bindung) besser zugelassen, reguliert und ausgedrückt werden.
Wird kein sicherer, verlässlicher Kontakt erlebt, besteht die Gefahr, dass die Partner emotional überregulieren (aus einer Verletztheit dramatisch unlösbare Momente erleben und in Beziehungsmuster von Kämpfen und Sich-Bekriegen gehen) oder unterregulieren (sich unempfindlich machen, Gefühle nicht mehr spüren oder sich zurückziehen). Steht die Bindung auf dem Spiel, dann werden die Gefühle unbewusst als überwältigender und existentieller erlebt.
Der Prozess des miteinander Aushandelns, im Rahmen dessen, was für jeden Partner verhandelbar ist, hat einen wichtigen Einfluss auf das Wohlbefinden beider und damit auf die Qualität der Paarbeziehung. So gestaltet das Paar, im Bild gesprochen, den gemeinsamen Lebenstanz und bestimmt die Melodie seiner Begleitmusik.
In diesem Prozess prägen Paarbeziehungen die eigene Identität mit. Die Paarbeziehung ermöglicht die Erfahrung, mit dem anderen zu verschmelzen und miteinander ein Wir Gefühl zu entwickeln. Miteinander zu verschmelzen kann in Beziehung und Sexualität als lustvoll und entwicklungsfördernd erlebt werden, solange beide Partner immer wieder auf den eigenen Füssen stehen können, anstatt auf einem Bein zu stehen und den Partner als zweites Bein zu benutzen. Solche Abhängigkeitsprozesse können als einschränkend und schwierig erlebt werden.
Gerne begleite ich Paare darin, die hinter den aktuellen Bindungsthemen verborgenen Verstrickungen zu verstehen, um miteinander Sicherheit und Verbundenheit wachsen zu lassen und liebevolle, sinnliche Begegnungen zu geniessen.